Kursiv

Aldo Pio Manuzio war ein angesehener Buchdrucker und Verleger in Venedig. Vornehm lateinisch nannte er sich «Aldus Pius Manutius», und seine Bücher sollten die Texte der grössten Dichter und Denker der Antike enthalten, Aristoteles, Homer und Platon, die Werke von Vergil und Horaz. Seit 1495 arbeitete er mit dem Schriftengiesser Francesco Griffo aus Bologna zusammen. Der stellte für seinen Auftraggeber als erstes griechische Lettern her, die mit ihren verschlungenen Linien eine griechische Handschrift imitierten. Die Drucke waren beim gelehrten Publikum zwar beliebt, aber alles andere als lesefreundlich, und dazu erschwerten die Schnörkel den Setzern die Arbeit.

Ums Jahr 1500 begann Manutius eine Vergil-Ausgabe zu planen – handlich und gut lesbar sollte sie sein,

ein sehr kleines Format, so dass man die Bücher gut in der Hand halten und die Texte gut lesen und auswendig lernen kann,

wie er einem Freund schrieb. Als Schrift wählte Manutius völlig neuartige Typen seines Partners Griffo aus – die Grossbuchstaben gerade (recte, wie das in der Typographie heisst), die Kleinbuchstaben dagegen «kursiv», vom lateinischen Verb currere, «eilen», weil sie sich elegant in Leserichtung vorbeugen, als ob sie liefen – die erste Kursivschrift der Geschichte.

Die Vergil-Ausgabe erschien 1501, und die neue Schrift war auf Anhieb so beliebt, dass die Drucker aus Venedig sie für viele weitere Werke verwendeten.

Venedig, Bologna, Italien: Auf Englisch heisst kursiv übrigens nicht «kursiv», sondern italic. Und weil die Schrift des Francesco Griffo so erfolgreich war, wird das 16. Jahrhundert auch the age of italics genannt, das Zeitalter der Kursivschrift.

Kursivschrift

Kursiver Text neigt sich leicht nach vorn, als hätte er es eilig. Deshalb heisst er auch kursiv, vom lateinischen currere, «laufen». Normal gesetzte Schrift dagegen steht gerade und heisst deshalb recte.

Als Johannes Gutenberg Mitte des 15. Jahrhunderts in Mainz seine erste Bibel druckte, war deren Schrift nur «recte». Kursive Lettern wurden erst 50 Jahre später erfunden, in der sogenannten «Aldus-Offizin», dem Verlag des Aldo Pio Manuzio in Venedig. Das war kein Zufall: In Venedig befand sich eine der grössten Bibliotheken der Zeit mit einem grossen Bestand an griechischen und lateinischen Manuskripten. Manuzios Geschäft war es, diese Texte nachzudrucken, relativ preisgünstig und in einem handlichen Format, so dass Kunden aus ganz Europa auf einmal Literatur lesen konnten, die bis dahin nur wenigen Gelehrten zugänglich gewesen war.

Manuzio legte Wert auf hochwertige Typographie. Er plante eine Ausgabe der gesammelten Werke des römischen Dichters Horaz, und dafür entwickelte Aldus’ Geschäftspartner in Bologna, der Stempelschneider Francesco Griffo, eine moderne, elegante Druckschrift, und die besass zum ersten Mal auch kursive Lettern. Die Horaz-Ausgabe erschien 1501 und wurde, wie viele andere Werke aus dem Aldus-Verlag, ein grosser Erfolg.

Die sogenannten «Aldinen» trugen viel bei zur Wiederentdeckung der Antike in der Renaissance und zur Entwicklung des Humanismus. Und weil ihre Druckschrift aus Italien stammt, heissen kursive Buchstaben auf Englisch bis heute italics.

Leben

Am Leben hängt der Mensch: Fast bedingungslos ist unser Wunsch nach Gesundheit und nach einem langen Leben.

Lange Zeit war das ein frommer Wunsch. Bis ins frühe Mittelalter betrug die Lebenserwartung der Menschen gerade mal zwischen 25 und 32 Jahren – dass namentlich viele Frauen so früh starben, lag an mangelnder Hygiene, schlechter Ernährung und dem Kindbettfieber, wie man die oft tödlichen Komplikationen bei der Geburt nannte. In der Steinzeit gar wurden die Menschen durchschnittlich nur gerade 20 bis 25 Jahre alt. Das führt zum häufigen Missverständnis, dass ein 25-jähriger Pfahlbauer bereits ein alter Mann gewesen sei, und das ist natürlich falsch. Ein Mensch konnte schon damals gut und gern 60, 70 Jahre alt werden. Aber: Viele starben bereits im Säuglings- oder Kindesalter.

Heute lebt der Mensch so lange wie noch nie. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Schweizer Männern beträgt heute 79 Jahre, bei Frauen gar 84 Jahre. Dass wir immer älter werden, liegt am medizinischen Fortschritt und am steigenden Wohlstand. Noch 1950, in der entbehrungsreichen Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wurden Schweizer Männer durchschnittlich 66, Frauen 71 – das Leben dauerte damals also im Durchschnitt 13 Jahre weniger lang.

Ein langes Leben ist auch dem Wort beschieden: «Leben» lässt sich bis in dunkelste Zeiten zurückverfolgen zu einem indogermanischen Wörtchen namens lei. lei bedeutete feucht, schleimig, glitschig oder klebrig. In der Bedeutung «kleben bleiben», «übrig bleiben» wandelte es sich zum heutigen bleiben – und zu Leben.

Am Leben hängt – und klebt – der Mensch: Auch die Bedeutung «kleben» hat nämlich überlebt. Mit dem Wort Leben eng verwandt ist, ausgerechnet, der Leim.

Limerick

1843 erschien in London ein Büchlein mit dem Titel «A Book of Nonsense», und dieses Büchlein hatte es in sich. Es enthielt 107 Nonsens-Gedichte des britischen Schriftstellers und Malers Edward Lear, von ihm selbst illustriert, die alle einem verblüffend eingängigen Schema folgten. Zwei lange Zeilen, die sich reimen. Dann zwei kurze, die sich ebenfalls reimen, am Ende ein fünfter langer Vers mit dem Anfangsreim. Immer nahm Lear eine fiktive Person auf die Schippe, die an einem realen Ort lebt, und die sich durch eine geradezu absurde Angewohnheit oder Eigenschaft auszeichnet.

Weil diese Strophenform einem alten irischen Soldatenlied gleicht, «Will You Come up to Limerick», wurde der Scherzvers bald einmal «Limerick» genannt. Auch wenn Dichter Lear nicht der Erfinder war – schon bei Shakespeare finden sich ähnlich gebaute Verse –, traf der Limerick einen Nerv. Mit einer Pointe, in die Schlusszeile verpackt, zählt er heute zum festen Repertoire von Humoristen in aller Welt. In der Version des Schweizer Kabarettisten César Keiser klang das 1964 zum Beispiel so:

Da gab’s einen Forscher in Brahmen
Der bastelte künstliche Damen,
Wobei ihm die vierte
Zum Teil explodierte,
Jetzt bastelt er keine mehr. Amen.

Wer jetzt vom Ehrgeiz gepackt ist und sich fragt, wie genau man einen Limerick zu schreiben hat, dem sei auch das erklärt. Am besten in einem Limerick:

Ein Limerick-Dichter aus Leimen
War stolz auf sein treffliches Reimen.
Doch macht’s nicht allein
Der treffliche Reim:
Man muss auch den Rhythmus gut timen.

Lorem ipsum

Grafikerinnen und Schriftsetzer kennen diesen Text auswendig:

Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur adipisici elit, sed eiusmod tempor incidunt ut labore et dolore magna aliqua. Ut enim ad minim veniam, quis nostrud exercitation ullamco laboris nisi ut aliquid ex ea commodi consequat. Quis aute iure reprehenderit in voluptate velit esse cillum dolore eu fugiat nulla pariatur. Excepteur sint obcaecat cupiditat non proident, sunt in culpa qui officia deserunt mollit anim id est laborum.

Das ist, mit Verlaub, lateinischer Unsinn. Und: Es ist gute alte (und sinnvolle) typografische Tradition. Das «Lorem ipsum», wie dieser Text heisst, ist schon seit ungefähr dem Jahr 1500 für Entwürfe üblich. Lorem ipsum bedeutet nichts. Sein Un-Sinn hat den Zweck, das Auge des Betrachters allein auf den Entwurf und nicht auf sprachlichen Inhalt zu lenken. Lorem ipsum scheint lateinisch, aber ist es nicht – schon das erste Wort lorem gibt es nicht. Lorem ipsum ist Blindtext, gestalterische Textmasse.

So dachte man. Aber Richard McClintock, Lateinlehrer am Hampden-Sydney-College in Virginia, war skeptisch. Er mochte nicht so recht an die Pseudolateintheorie glauben und suchte. Und wurde fündig:

Neque porro quisquam est qui dolorem ipsum quia dolor sit amet, consectetur, adipisci velit.

«Da ist niemand, der den Schmerz an sich liebt, der danach sucht und ihn haben möchte, einfach weil es Schmerz ist.» Solches schrieb, im Jahr 45 vor Christus, kein anderer als der begnadete Redner und Politiker Marcus Tullius Cicero in seinem philosophischen Werk De finibus bonorum et malorum.

Wenn Cicero das gewusst hätte! Heute gibt es im Web praktische Lorem ipsum-Generatoren, wo sich Grafiker Blindtexte in jeder gewünschten Länge erzeugen lassen können, und moderne Gestaltungsprogramme enthalten sogar eine Lorem-ipsum-Warnung, die verhindern soll, dass die lateinischen Worte aus Versehen gedruckt und veröffentlicht werden.