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Quengelware

Bonbons und Schokoriegel im Gestell bei der Kasse heissen deshalb «Quengelware», weil sie Kindern regelmässig die Tränen in die Augen und Eltern die Zornesröte ins Gesicht treiben. Weil Kindertränen aber ziemlich gute Argumente sind, wird Quengelware überdurchschnittlich oft gekauft. Und deshalb wird sie ganz bewusst in der sogenannten «Bückzone» platziert, wo sie Kindern förmlich ins Auge fällt. Dabei liegt die Auslage meistens auf der rechten Seite, weil die meisten Menschen Rechtshänder sind und eher Waren betrachten, die rechts ausliegen – aus diesem Grund finden sich in Supermärkten rechts die gewinnträchtigeren Waren, links dagegen die alltagsnotwendigen. An der Kasse schliesslich wäre eine Platzierung längs des Gangs ein Hindernis, weil so die Auslage nur aus dem Augenwinkel sichtbar wäre. Deshalb wird Quengelware quer zur Blickrichtung ausgelegt – und ist damit unübersehbar. Manche Supermärkte gehen sogar noch einen Schritt weiter: Sie vermeiden eine Präsentation in geordneten Reihen und schütten die Quengelware statt dessen in einen Regalkorb – die scheinbar nachlässig ausgelegten Artikel, absichtlich in kleine Hüllen abgepackt, suggerieren dabei einen besonders tiefen Preis, was die Bereitschaft genervter Eltern erhöht, dem Betteln der lieben Kleinen nachzugeben.

Das Prinzip «Quengelware» ist unter Beschuss geraten, weil Süssigkeiten für kindliches Übergewicht mitverantwortlich sind. Nachdem die Stadt Berkeley in Kalifornien Süssigkeiten bereits ganz aus dem Kassenbereich verbannt hat, soll das strategische Platzieren von Quengelware in Grossbritannien noch in diesem Jahr verboten werden.

Hash

#foodporn, #metoo, #art: Der Hashtag ist in aller Munde – oder besser: in aller Hand. Die sozialen Medien strotzen nur so von klickbaren Schlüsselwörtern, die immer mit einem sogenannten hash beginnen. Auch der Hash selbst kennt viele Namen. Das charakteristische Zeichen aus zwei senkrechten und zwei waagrechten Strichen heisst auf Deutsch «Doppelkreuz», «Raute», «Lattenzaun», «Kanalgitter» oder «Schweinegatter» – und auf Schweizerdeutsch meist ganz einfach «Gartehag».

Der Hashtag ist zwar eine Erfindung des Computer-Zeitalters; den Hash als typografisches Zeichen dagegen gibt es schon seit dem Mittelalter. Das römische Pfund hiess auf Latein libra pondo. Aus pondo wurde schliesslich das deutsche Pfund, und libra, ebenfalls ein Wort für «Pfund», wurde von englischen Schreibern seit dem 14. Jahrhundert abgekürzt – als «lb» mit einem darüberliegenden horizontalen Strich, um die Abkürzung anzuzeigen. Im frühen Buchdruck gab es sogar ein «lb»-Zeichen mit Überstrich, währenddem sich das handschriftliche, oft hastig hingeworfene Pfund-Zeichen verschliff und zum «Lattenzaun» wurde, den wir heute auf Englisch hash nennen.

Und der kann noch viel mehr als nur soziale Medien. In der Musik erhöht er als Ersatzzeichen für das Kreuz um einen Halbton, in Computersprachen kennzeichnet er Kommentare oder Sprungmarken. Den «Hash» finden wir auf der Telefontastatur und auf Rechenmaschinen; er bezeichnet Nummern und Parallelogramme, bedeutet Schachmatt und – in der Medizin – sogar den Bruch eines Knochens. Der Hash im Hashtag ist ein Hansdampf in allen Gassen.

Flipperkasten

Der Flipperkasten hat eine Sprungfeder, mit der sich der Ball nach oben schiessen lässt, die «Flipper», die ihn im Spiel halten sollen, und einen gefrässigen Münzschlitz, der das Taschengeld ganzer Generationen aufzufressen pflegte. Und vor allem hat der Flipperautomat eine Geschichte, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht.

Der Vorfahr des Flipperkastens war ein Zeitvertreib des französischen Adels und hiess «Bagatelle». Das war ein geneigtes Brett mit Holzstiften, auf dem der mit einem Queue gestossene Ball in Löcher mit möglichst hohen Punktzahlen befördert wurde. «Bagatelle» war ein Riesenerfolg, und französische Soldaten brachten das Spiel mit nach Amerika. Spätere Spiele wiesen erste Sprungfederkatapulte, sogenannte plungers, und statt Holzstöpseln Nägel auf, weshalb der heutige Flipperkasten auf Englisch pinball heisst. Die 1930er-Jahre brachten die ersten elektrischen Münzautomaten mit den charakteristischen bumpers, ein Jahrzehnt später kamen die elektromechanischen Paddel und Zähler dazu. Meist in der Mafiastadt Chicago hergestellt, wurden die Automaten so beliebt, dass New York City und andere Städte im Zweiten Weltkrieg das Flippern verboten und die Automaten mit Vorschlaghämmern zerschlagen liessen, weil sie angeblich Schulkindern das Geld aus der Tasche zogen und ihre Herstellung wertvolle, kriegswichtige Metalle vergeudete. Allein, es half nichts: In den Siebzigerjahren wurde der technisch immer weiter perfektionierte Flipper zur Spiel-Ikone.

Die alten Automaten sind heute begehrte Sammlerobjekte, und als Handyspielchen für zwischendurch gibt’s «Pinball» als App.

Dunning-Kruger-Effekt

Das Problem mit dummen Menschen ist, dass sie keine Ahnung haben, wie dumm sie wirklich sind.

Der bitterböse Sketch des britischen Komikers John Cleese ist tatsächlich ein Ergebnis wissenschaftlicher Forschung. David Dunning, Professor für Sozialpsychologie und ein Freund von Cleese, schrieb 1999 zusammen mit seinem Kollegen Justin Kruger an der Cornell University ein anfänglich kaum beachtetes Papier. Es zeigte, dass Schwierigkeiten, die eigene Inkompetenz zu erkennen, zu einer überhöhten Selbsteinschätzung führen. Dunning und Kruger wiesen nach, dass Menschen mit spezifischen Schwächen – etwa beim Lesen, Autofahren oder Schach – dazu neigen, ihr eigenes Können zu überschätzen, während sie gleichzeitig das der anderen unterschätzen. Diesen «Dunning-Kruger-Effekt», wie das Phänomen heute heisst, beschreibt Dunning so:

Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist. Die Fähigkeiten, die wir brauchen, um die Lösung eines Problems zu finden, sind genau die selben Fähigkeiten, die nötig wären, um die gefundene Lösung als richtig zu erkennen. Wir sind nicht so gut darin, zu wissen, was wir nicht wissen.

Auf die Spur gebracht hatte die Forscher ein Banküberfall: Der Bankräuber McArthur Wheeler in Pittsburgh hatte keine Maske getragen und war von Überwachungskameras gefilmt worden. Die Bilder kamen in den Nachrichten, und keine Stunde später wurde Wheeler verhaftet. Mit den Videos konfrontiert, murmelte der verblüffte Räuber: «Aber ich war doch voller Saft!» Er hatte felsenfest geglaubt, dass sein mit Zitronensaft eingeriebenes Gesicht für Kameras unsichtbar sei. Was nicht ganz den Tatsachen entsprach.

Tinte

Die schlechteste Tinte ist besser als das beste Gedächtnis,

sagt ein chinesisches Sprichwort. Tatsächlich wurde in China und Ägypten schon im 3. Jahrtausend v. Chr. mit Russtinte geschrieben; der römische Architekt und Ingenieur Vitruv beschreibt, wie der dazu nötige Russ in eigens dafür gebauten Öfen gewonnen wurde. Aus dieser Zeit stammt auch der Name: «Tinte» kommt vom lateinischen Ausdruck aqua tincta, «gefärbtes Wasser» und wurde lange mit «c», also «Tincte» geschrieben.

Schon in der Antike war Tinte nicht gleich Tinte: Bei der Herstellung von Gallustinte etwa wurden als erstes Galläpfel gewonnen, eine Wucherung auf der Unterseite von Eichenblättern. Nach dem Abkochen mit Eisensulfat und der Zugabe von Gummi arabicum und Wasser entstand eine Tinte, die ganz besonders beständig war und noch heute als «dokumentenechte» Tinte verwendet wird. Daneben gab es auch Tinten mit dem Farbstoff aus Tintenfischen, solche, die nur langsam eintrockneten und die Feder nicht so schnell verstopften, Farbtinten aus unterschiedlichsten Pigmenten, Dufttinten mit ätherischen Ölen, Geheimtinten, die nur durch Erwärmen des Papiers sichtbar wurden, und für ganz besondere Manuskripte entstanden im Mittelalter sogar Gold- und Silbertinten.

Das Tintenfass ist heute Vergangenheit, doch ohne Tinte geht’s auch heute nicht. Kugelschreibertinte muss wischfest sein und eine extreme Deckkraft besitzen, so dass eine Mine für Hunderte von Seiten reicht. Und Druckertinte muss in Sekundenbruchteilen trocknen und sich beliebig mischen lassen, so dass aus drei Grundfarben unendlich viele Farbtöne dargestellt werden können. Aus dem Kulturgut Tinte ist ein High-Tech-Produkt geworden.