Scheisstag

Die feudalen Zeiten waren hart. Von Hauspersonal und Landarbeiterinnen wurde quasi rund um die Uhr Dienst erwartet, was allerdings allein schon aus biologischen Gründen unmöglich war: Wenn das Personal seine Notdurft verrichtete, stand es dem Dienstherrn notgedrungen eine Weile nicht zur Verfügung.

Gegen Ende des Jahres pflegten Bauern daher nachzurechnen, wie viel Zeit ihre Bediensteten insgesamt auf dem stillen Örtchen verbracht hatten. Übers ganze Jahr gesehen kam so einiges zusammen, und wenn das Arbeitsleben zwischen Weihnacht und Neujahr zum Stillstand kam, mussten Mägde und Knechte diese verpasste Zeit nachholen. Darüber waren sie nicht sonderlich erfreut – und in der Namensgebung wenig zimperlich:

Scheißtage nennt das Gesinde in Bayern die 1–3 Tage, welche sie über den eigentlichen Termin hinaus in dem Hause, das sie verlassen wollen, noch im Dienste bleiben, gleichsam um die während ihres Dienstes durch Erledigung des Bedürfnisses verlorene Zeit dem Dienstherrn wieder einzubringen.

So steht es im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm.

Solche «Scheisstage» gab es nicht nur in Bayern, und sie waren, je nach Gegend, nach Lichtmess abzuleisten, also nach dem 2. Februar, meist aber am 29. Dezember, bei ganz besonders geizigen Dienstherren auch am 31. Dezember. So feierte das findige Personal Silvester halt schon einen Tag früher, und deshalb, so will es die Legende, heisst der 30. Dezember auch «Bauernsilvester».

Sirup

Sirup selber machen ist einfach: Früchte je nach Saison, mit etwas Wasser kochen, sieben, mit Zucker erneut aufkochen und heiss abfüllen – fertig ist der Sirup. Lagert man ihn kühl und dunkel, ist er monatelang haltbar.

Doch Sirup schmeckt nicht nur süss, er kann auch ein Medikament sein.

Was kranckheit ein mensch thuet peladen, dem kan ich helffn mit gottes gnaden durch ein sirob oder recebt, das seiner kranckheit widerstrebt, das der mensch wirt wider gesund,

dichtete im 16. Jh. der Nürnberger Meistersinger Hans Sachs. Sirup als Arznei, bei Verdauungsbeschwerden oder gegen Husten, kennen wir heute noch.

Das Wort Sirup kommt vom mittellateinischen siropus, und das wiederum aus der arabischen Heilkunde. Im «Kanon der Medizin», dem über Jahrhunderte einflussreichen Werk des persischen Arztes Ibn Sina aus dem 11. Jh., spielt die Herstellung heilender Sirupe eine wichtige Rolle. Heute dagegen bezeichnet das arabische شراب («scharab») von Saft bis Wein so gut wie jedes Getränk.

Softdrinks haben dem althergebrachten Sirup längst den Rang abgelaufen. Und doch sind sie im Grunde nichts anderes: Fruchtsaft- oder anderes Konzentrat ist leicht und kostengünstig zu transportieren; für den Offenausschank muss der Sirup nur noch mit Wasser verdünnt und mit Kohlensäure versetzt werden – «Postmix» nennt man das Verfahren. Ob Fanta, Sprite, Pepsi oder Cola: Am Anfang war auch hier der Sirup.

Skara Brae

Der Wind und die Gischt gehören zu Orkney, der Inselgruppe nördlich von Schottland, wie das Salz zum Meer. Sie sind schuld daran, dass hier keine Bäume wachsen. Und das ist ein Segen.

Denn Menschen pflegen mit dem zu bauen, was sie haben. In waldigen Mitteleuropa war das Holz, und bis auf Stümpfe im Seegrund, die von Pfahlbauern zeugen, ist von Bauten der Jungsteinzeit kaum etwas übrig geblieben.

Auf Orkney ist das anders. Hier bauten die Menschen vor 4500 Jahren mit Stein, dem feinkörnigen, rötlichen Sandstein, der sich dank seiner Schichtung leicht in ebene Platten spalten lässt. Und so hat auf Orkney ein ganzes Dorf aus der Jungsteinzeit überdauert – perfekt erhalten, fast so, als sei es gestern erst von seinen Bewohnern verlassen worden. Skara Brae wird das Dorf genannt, und dass es überhaupt entdeckt wurde, ist wieder dem Wetter zu verdanken. Nachdem die Mauern jahrtausendelang von einer Sanddüne bedeckt waren, riss im Winter 1850 ein schwerer Sturm Teile der Küste ins Meer, und erste Umrisse wurden sichtbar.

Skara Brae ist heute ausgegraben und konserviert. Die Siedlung besteht aus insgesamt neun Häusern und einer Werkstatt, deren Dächer zwar fehlen, deren Inneneinrichtung jedoch gut erhalten ist: Bettkästen, Wandnischen, Feuerstellen, Hausaltäre und rechteckige Wassertanks, in denen die Napfschnecken frisch gehalten wurden, die man als Köder zum Fischen benötigte. Die Bewohner fingen Dorsche, hielten Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine, bauten Gerste an und buken Brot. Und lebten in ihren wind- und wasserdichten, gut beheizten Steinhäusern so behaglich, wie das möglich war – gänzlich unbehelligt von Sturm und Gischt, die noch vorher da waren.

Spaghetti

Heisses Wasser, etwas Salz und eine Handvoll Spaghetti: Pasta, so könnte man sagen, sind das erste Fertiggericht der Geschichte.

Einer sehr langen Geschichte. Teigwaren stammen aus dem nördlichen China. Am Ufer des Gelben Flusses fanden Archäologen einen 4000 Jahre alten Topf, in dem sich noch Reste von Spaghetti befanden. Eine gigantische Flut hatte das jungsteinzeitliche Dorf überrollt, mit Mann und Maus und mitsamt dem Spaghettitopf, der kopfüber im Schlamm steckenblieb. In seinem Inneren bildete sich ein Vakuum, in dem die Teigwaren aus Hirsemehl überdauerten – bis zum Augenblick ihrer Entdeckung: Mit dem Ausgraben des Topfs gelangte das Jahrtausende alte Nudelknäuel an die frische Luft. Den Forschern blieb gerade genug Zeit, diese Ur-Spaghetti zu fotografieren; danach zerfielen sie vor ihren Augen zu Staub.

Nach Italien gelangten die Pasta lange vor Christi Geburt. In Gräbern der Etrusker, einem Volk in Norditalien, das später im römischen Reich aufging, finden sich farbenprächtige Fresken, die Nudelbrett, Nudelholz und Mehlsäckchen zeigen. Im 12. Jahrhundert, so berichtet der muslimische Geograph al-Idrisi, wurden auf Sizilien itryya bereits in grossen Mengen hergestellt. Itryya, in süditalienischen Dialekten trie, waren fadenförmige Spaghetti aus Hartweizen, die getrocknet und später in Salzwasser gekocht wurden.

Im vorindustriellen Italien waren Spaghetti eine Delikatesse, die, weil sehr aufwändig, grossen Festen vorbehalten war. Erst die maschinelle Verarbeitung des Nudelteigs machte aus den Teigwaren, was sie heute sind: eine Mahlzeit auf die Schnelle.

Spitzmaus

Die Spitzmaus ist gar keine Maus: Sie zählt nicht zu den Nagetieren, sondern zu den Insektenfressern und ist damit eine Verwandte des Maulwurfs. Es gibt Hunderte von Arten, doch nur 10 leben auch in Mitteleuropa. Mit zwischen 5 und 10 Zentimetern ist die Spitzmaus klein, und sie ist sehr anpassungsfähig. Sie lebt an Land und im Wasser. Landspitzmäuse markieren ihr Territorium mit einem penetranten Duft (weshalb sie zwar von Katzen gefangen, aber nicht gefressen werden); Wasserspitzmäuse haben an den fünf Zehen ihrer Füsschen eine Art Schwimmhaut aus Borsten.

Für gewöhnlich ändern sich Körpermasse von Tieren nicht mehr, sobald sie ausgewachsen sind. Bei der Spitzmaus ist das anders. Organe und sogar Knochen beginnen sich auf den Winter hin zurückzubilden; im Februar wachsen die Tiere wieder. Das hat seinen Preis: Weil auch das Spitzmaushirn im Winter kleiner ist, sind die kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt. Ausserdem wachsen die Tiere nicht so stark, wie sie vorher geschrumpft sind; sie sind im Frühling also etwas kleiner als vor dem Winter – ein enorm entbehrungsreicher Prozess, der zeigt, wie anpassungsfähig Säugetiere sein können.

Bleibt die Frage, warum die Spitzmaus so heisst, obwohl sie keine ist. 1942 beschloss die Deutsche Gesellschaft für Säugetierkunde, die Spitzmaus in die ältere Bezeichnung «Spitzer» umzubenennen. Als Adolf Hitler davon in der Zeitung las, bekam er einen Wutanfall und liess den Zoologen befehlen, diese «derartig blödsinnige Umbenennung» unverzüglich wieder rückgängig zu machen – unter Androhung längerer Aufenthalte «in Baubataillonen an der russischen Front». Weshalb die Spitzmaus bis heute Spitzmaus heisst.