Beutelbuch

Es ist stärker als wir: Wir setzen uns hin – im Bus, im Café –, und der erste Handgriff gilt dem Handy. Diese Zwangshandlung ist kein Kind des 21. Jahrhunderts: Tatsächlich ist das Lesen auf die Schnelle seit Jahrhunderten gang und gäbe.

Vom 14. bis ins 16. Jahrhundert machte das sogenannte Beutelbuch das Lesen mobil. Ein Beutel aus feinem Leder oder Samt umhüllte ein Büchlein mit meist religiösem Inhalt – etwa ein Gebets- oder Liederbuch. Dieser Beutel war so lang, dass er sich verknoten und um den Gürtel schlingen liess; der Knoten – manchmal auch ein Haken oder Ring – verhinderte, dass das Buch herausrutschte.

Beutelbücher wurden in Klöstern hergestellt, wo es Buchbindereien gab; erst später schlossen sich weltliche Buchbinder zu Zünften zusammen. Die kleinformatigen Bücher bestanden aus von Hand beschriebenen, gelegentlich gar mit kunstvollen Initialen versehenen Pergamentseiten. Diese wurden mit Nadel und Faden zu einem Buchblock geheftet und mit einem hölzernen Deckel versehen. Darauf folgte der Lederbezug, den man am einen Ende überstehen liess, so dass der typische lange Beutel entstand. Schliessen aus Bronze oder Messing hielten die Buchdeckel zusammen und verhinderten, dass sich das Buch von selbst öffnete.

Beutelbücher waren bei Pilgern, Kaufleuten und Gelehrten beliebt. Man trug sie stets bei sich, und in der Kutsche oder bei der Rast hob man das am Gürtel baumelnde Buch hoch und las. Wie das Handy war das Beutelbuch ein Alltagsgegenstand und nutzte sich ab. In den Handschriftenabteilungen europäischer Bibliotheken sind heute nur noch 23 Exemplare zu finden.

Biedermeier

Biedermeier ist die Zeit zwischen Wiener Kongress 1815 und dem Revolutionsjahr 1848. Es sind Jahrzehnte der Unrast und der Armut im Gefolge der napoleonischen Kriege, die Europa regelrecht umgepflügt haben, und der elegante, historisierende Biedermeierstil ist Ausdruck der Flucht eines durchaus selbstbewussten, kunstsinnigen Bürgertums ins häusliche Familienidyll eines behaglichen Heims.

Der Name stammt tatsächlich aus der Kunst. Sein Ursprung ist die fiktive Figur des Gottlieb Biedermeier, anfänglich mit «ai», später dann mit «ei» geschrieben. Dieser Biedermeier war ein in seiner Freizeit dichtender Spiessbürger, dem

seine kleine Stube, sein enger Garten, sein unansehnlicher Flecken und das dürftige Los eines verachteten Dorfschulmeisters zu irdischer Glückseligkeit verhelfen.

Kurz: Biedermeier war der Inbegriff kleinbürgerlichen Miefs.

Erfunden haben ihn 1855 ein Jurist und ein Arzt, Ludwig Eichrodt und Adolf Kussmaul. Die beiden schrieben Gedichte für die Münchner Satirezeitschrift «Fliegende Blätter», in denen sie den Kleingeist der Zeit aufs Korn nahmen. Ihre Spottgedichte sind beissende Parodien auf die Pseudopoesie des realen Lehrers und Volksdichters Samuel Friedrich Sauter. Dessen Gedichte waren durchaus populär, aber kauzig und voller unfreiwilliger Komik.

Eichrodts und Kussmauls Satiren zeigten Wirkung, und ihr fiktiver Gottlieb Biedermeier begann sich zu verselbständigen. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Name erst zum Begriff der Kunst- und Architekturgeschichte, dann der Mode, und am Ende einer ganzen Epoche.

Bleistift

Ein rechter Maler, klug und fleissig,
Trägt stets ’nen spitzen Bleistift bei sich.

So reimte einst Wilhelm Busch, im übrigen selbst ein begnadeter Bleistiftzeichner. Der Stift heisst falsch, weil seine Mine nicht im mindesten aus Blei besteht.

Bleistift
Und doch: Ein Stift aus Blei war er lange Zeit. Blei ist weich, und sein Abrieb ergibt zwar schwache, aber erkennbare Konturen. Und so gossen schon vor 5000 Jahren die alten Ägypter Blei in Bambus-, Schilf- oder Papyrusstängel. Plinius der Ältere schreibt, dass im Rom des ersten Jahrhunderts n. Chr. der Griffel aus reinem Blei – stilus plumbeus – gang und gäbe war. Noch bis ins Mittelalter griffen Maler beim Vorzeichnen zum so genannten reissbley, doch für wirklichen Zeichenkomfort war das zu hart, nahm das Papier zu sehr mit und war der Gesundheit des Künstlers nicht eben zuträglich.

Das änderte sich, als englische Hirten 1564 in der Grafschaft Cumberland – so will es die Legende – an den Wurzeln eines umgestürzten Baumes eine tiefschwarze Masse bemerkten, in der sie Bleierz zu erkennen glaubten und mit der sich ein Schaf gut markieren liess. Im benachbarten Keswick entstand die erste, bis heute erhaltene Bleistiftmanufaktur, die den Grundstein zu einer eigentlichen Bleistiftindustrie legte. Der schwarze Wunderstoff wurde in zylindrische Form gepresst und in eckige Hülsen aus Silber, Gold oder das sündhaft teure, aber wohlriechende Zedernholz gesteckt. Bleistifte konnten gut und gern dreimal mehr kosten als eine teure Feder.

Es sollte lange dauern, bis die Wissenschaft herausfand, dass des Bleistifts Kern nicht aus Blei, sondern vielmehr aus Graphit besteht. Dem griffigen Namen indes konnte das nichts mehr anhaben.

Blüte

Die Blüte ziert nicht nur den Blumenstrauss, sie ist auch Rotwelsch und steht in der Gaunersprache für eine gefälschte Banknote. Möglicherweise stammt sie von blede ab, einem alten Wort für «Goldstück». So hiessen im 19. Jahrhundert blank polierte Pfennige, die man Gutgläubigen unterschob. Seit jeher haben Händler deshalb ein Auge darauf, dass ihnen da nicht etwa Falschgeld untergejubelt wird. Im Mittelalter schuf ein beherzter Biss Klarheit – Falschgeld war in der Regel härter als das weiche Münzgold. Dem Fälscher drohte dann ein grausamer Tod: Er wurde, die Füsse voran, mit einer Winde langsam in siedendes Öl getaucht.

Heute sind die Strafen weniger drakonisch, und trotz Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr wird nach wie vor gefälscht, was das Zeug hält. Ein ergiebiger, aber anspruchsvoller Weg ist das Nachdrucken: Die Druckplatten werden, Farbe für Farbe, in mühevoller Kleinarbeit hergestellt und die Banknoten danach in Serien gedruckt. Noch bis zur Jahrtausendwende waren gedruckte Blüten beliebt, doch heute sind die meisten hausgemacht: 2013 wurden Noten im Wert von über einer halben Million Franken aus dem Verkehr gezogen, die aus einem Farbkopierer oder gar aus einem billigen Tintenstrahldrucker stammten.

Die Fälscher, das sind Banden, die Blüten industriell herstellen, das sind arme Schlucker, die in ihrer Not nicht anders können. Und dann gibt es da noch den Künstler: 1973 flog in München der später als «Blütenrembrandt» bezeichnete Grafiker Günter Hopfinger auf. Er hatte deutsche Tausendmarkscheine zu Dutzenden nachgemacht – mit dem Tuschefüller und von Hand. Für einen einzelnen Schein, so erklärte er den verdutzten Polizeibeamten, habe er nur acht Stunden gebraucht.

Bowie-Bonds

Keine Frage: David Bowie, mit bürgerlichem Namen David Robert Jones, ist einer der «Heroes» der Popgeschichte, wie einer seiner Welthits heisst. Mit «The Man Who Sold the World» schrieb Bowie 1970 einen Song, der eine ganz andere Seite vorwegnehmen sollte: die des smarten Businessman. Statt auf die wechselhaften Erträge aus den CD-Verkäufen zu hoffen, landete Bowie Anfang 1997 einen Coup: Anlässlich seines 50. Geburtstags gab er eine Anleihe heraus; das ist ein Wertpapier, das dem Käufer das Recht auf Rückzahlung und auf Zinsen einräumt. Als Sicherheit dienten David Bowie die künftigen Einnahmen seiner damals 25 Alben. Diese «Bowie Bonds» mit einer Laufzeit von 10 Jahren brachten dem Sänger auf einen Schlag 55 Millionen Dollar ein – gezeichnet wurden sie von einer Versicherung, die sich von den 7,9% Zinsen ein gutes Geschäft versprach.

Die Anleihe war ein Paukenschlag. Auf dem Londoner Finanzplatz galt die Emission als ein Riesending, und angesichts des Erfolgs liessen Nachahmer nicht lange auf sich warten: Rod Stewart, Iron Maiden oder James Brown griffen in der Folge ebenfalls zum Instrument der «Bowie Bonds».

Heute gehören solche Musiker-Bonds der Vergangenheit an. 2007 gerieten sie in den Strudel der Finanzkrise und galten bald einmal als «toxisch». Auch wenn sich der Ruf dieser Papiere heute wieder etwas erholt hat: Das CD-Geschäft als Sicherheit ist tot. David Bowie aber, dieser genialische Verwandlungskünstler, hat sein Geschäft gemacht: Die 55 Millionen nutzte er dazu, sein Management auszuzahlen und dessen Rechte an seinen Songs vollständig zurückzukaufen.