Eine Nadel ist eine unscheinbare Sache: Wenige Zentimeter lang, 0.7 bis 1,4 Millimeter dünn, mit einem Nadelöhr, dessen Breite nur gerade 40 Prozent der Nadelstärke beträgt. Bei dünnen Nadeln ist das geradezu sprichwörtlich klein: In gleich drei Evangelien geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel.
Die Nadel ist ein Kulturgut ersten Ranges. Schon vor 35 000 Jahren schliffen die Menschen Knochen- oder Geweihspäne auf einem Stein zurecht. Ein Spalt am Nadelende klemmte den Faden aus Tierdarm oder Sehne fest, so dass sich Leder zu Kleidern zusammennähen liess. Forscher gehen davon aus, dass erst die Erfindung der Nähnadel die Ausbreitung des aus Afrika stammenden Homo sapiens möglich machte: Um bei unwirtlichen Temperaturen überleben zu können, brauchten die Menschen an ihre Anatomie angepasste Kleidung, die sich nur mithilfe von Nadeln herstellen liess – eine Technik, die etwa der Neandertaler nicht kannte, so dass die Besiedlung von Nordeuropa oder Asien dem modernen Menschen vorbehalten blieb.
Eine Nadel ist nicht nur ein Nähutensil, sondern auch ein Universalwerkzeug – und eines, das zuweilen auch gänzlich unvermuteten Zwecken dient. Zum Beispiel der Textverarbeitung: Anfang des 19. Jahrhunderts, 170 Jahre vor der Erfindung von Microsoft Word, benutzte die britische Schriftstellerin Jane Austen Stecknadeln zum Redigieren ihrer Romane: Textstellen, die ins Manuskript eingefügt werden sollten, schrieb sie fein säuberlich auf kleine Zettel und steckte diese dann präzise an der richtigen Stelle fest.