Marionette

Sie ist nicht sonderlich beliebt, doch sie zählt zum Stammpersonal der kleinen und der grossen Bühne: die Marionette. Ihre Herkunft aber hat nichts mit Puppentheater oder Politik zu tun, nein: Die Marionette, jene bewegliche, an Fäden aufgehängte Gliederpuppe, kommt vielmehr aus der Kirche. Ihr Name stammt vom französischen mariolette, dem Diminutiv von mariole, jener im Mittelalter so beliebten Marienfigur. Die Marionette ist also sozusagen die Urenkelin der heiligen Maria – auch wenn andere Sprachforscher der Ansicht sind, ihr Ursprung sei vielmehr die lateinische marita, die verheiratete Frau.

Weiblich, soviel steht fest, waren allerdings – falls überhaupt – allein die Puppen. Die Fäden zogen wie überall die Männer. Der erste bekannte Puppenspieler der Schweiz war, Mitte des 16. Jahrhunderts, ein Solothurner namens Heinrich Wirre. Knapp 100 Jahre später, zu Beginn des englischen Bürgerkriegs im Jahr 1642, schlossen die Puritaner alle Theater in London, und die plötzlich arbeitslosen Puppenspieler flohen aufs Festland, wo sie die englischen Klassiker mit Marionetten aufführten. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren auf Schweizer Jahrmärkten viele fremde und einheimische Wanderkomödianten anzutreffen, die Schattenfiguren, Handpuppen und Marionetten zur Schau stellten. Im 20. Jahrhundert schliesslich entstand in der Schweiz eine eigentliche Puppentheaterbewegung, und sogar Friedrich Dürrenmatt, Säulenheiliger des Schweizer Theaters, spielte 1947 beim Marionettentheater des Künstlerpaars Fernand und Elsi Giauque mit.

Eine Marotte des grossen Dürrenmatt? In sprachlicher Hinsicht ganz bestimmt. Beide, die Marionette und die Marotte, sind nämlich eng miteinander verwandt.

Marzipan

Pfarrer Johannes Coler war ein Feinschmecker.

«Wil man einen guten Martzipan backen, so stoss [man] geschelte Mandeln in einem Mörsel, und thue darunter weissen Zucker und Rosenwasser, und stoss wohl durcheinander, dass es nicht zu dünne wird, sondern das es fein dicke bleibet»,

schreibt er 1593 in seinem «Hausbuch». Das Rezept, so will es die Legende, stammt aus Lübeck oder auch aus Königsberg. Während einer Hungersnot Anfang des 15. Jahrhunderts sollen Bäcker eine Art Notbrot erfunden haben, weil es nichts anderes mehr gab als Mandeln und Zucker. Das ist volkstümlicher Unsinn, denn Mandeln und Zucker waren kostbar und hätten sich leicht gegen andere Nahrungsmittel eintauschen lassen. Marzipan – darin sind sich Kulturhistoriker einig – kommt aus Persien. Im Mittelalter brachten arabische Händler das Marzipan nach Spanien und von da über Venedig an die Fürstenhöfe ganz Europas.

Auf diesen langen Reisen ging irgendwann auch der Ursprung des Wortes verloren. Zwar gilt als sicher, dass das italienische Wort für Marzipan, marzapane, im 16. Jahrhundert ins Deutsche eingewandert ist, aber dann verliert sich die Spur. Und so wird munter spekuliert – über ein lateinisches Marci panis etwa, auf Deutsch «Markusbrot», über einen ähnlich lautenden persischen Grafentitel oder antike Wörter für «Mehlbrei». Nicht einmal das Wortgeschlecht ist klar – ob das oder der Marzipan, ist laut Duden ziemlich einerlei.

Dagegen steht fest: Marzipan ist seit jeher eine begehrte Leckerei. Im Mittelalter noch in Apotheken hergestellt, galt Marzipan sogar lange Zeit als Medikament gegen Verstopfungen und Blähungen – und als Potenzmittel.

Mattenenglisch

Mattenenglisch ist ein alter, fast vergessener Berner Quartierdialekt – und es war eine Gaunersprache, die für Obrigkeit und Polizei unverständlich sein sollte. Die Matte ist die am Aareufer gelegene, vom übrigen Bern abgetrennte Berner Unterstadt. Hier lebten Handwerker, Fischer, Fuhrleute, frömdi Fötzle u Vagante, wie das fahrende Volk in der Oberstadt hiess. Händler und Flösser brachten Sprachfetzen aus dem Französischen, dem Jenischen und dem Jiddischen mit, die mit Berndeutsch zu einem eigentümlichen Soziolekt verschmolzen, der ursprünglich Mattenengisch hiess, weil man ihn in der Mattenenge sprach, der engsten Gasse des Quartiers; das verschmitzte l ist wohl einem unbekannten Humoristen geschuldet.

Tunz mer e Ligu Lehm!

So verlangt der Mätteler ein Stück Brot. Der Satz beginnt griechisch: Tunz von dos, «gib», e Ligu von oligon, «ein wenig». Lehm für «Brot» dagegen stammt vom hebräischen lechem ab.

Mattenenglisch ist nicht nur ein Dialekt mit vielen fremden Wörtern, sondern eine Geheimsprache mit festen Regeln, auf der Basis des Berndeutschen. Die Mätteler nennen ihr Quartier Mättu. Die Silben werden vertauscht, am Anfang wird ein betontes i ergänzt, der Schlussvokal durch ein langes e ersetzt: Ittume. Vertauschen und Ersetzen: Diese Form der Sprachverschlüsselung ist uralt und fand ihren Weg auf den Booten und Flössen des Mittelalters bis in den Berner Mattehafen.

Gauner soll es in Bern auch heute noch geben, doch die sprechen längst nicht mehr Mattenenglisch. Das tun nur noch einige wenige alte Mätteler – und der «Matteänglisch-Club», der Ittume Inglische Ibcle.

Messer

Am Anfang war das Messer: Schon die ersten Werkzeuge des Menschen lassen sich mit heutigen Klingen vergleichen, und die ältesten davon sind mehr als 2,5 Millionen Jahre alt.

Ein Messer ist eine einfache und raffinierte Sache zugleich. Einfach: Feuerstein ist hart wie Bergkristall, und geschickt zurechtgeschlagen, ergibt er einen Faustkeil mit messerscharfer Kante. Und raffiniert: Der Druck wird durch die scharfe Schneide auf eine mikroskopisch schmale Fläche verteilt, so dass sich mit Feuerstein mühelos schneiden lässt.

Kein Wunder also, dass das Messer seit jeher nicht bloss Werkzeug und Waffe war, sondern auch Statussymbol. Erste kunstvoll geschlagene Feuersteinmesser, später Dolche und Schwerter aus Bronze, Eisen und Stahl wurden reich verziert und zeugten so weniger von Wehrhaftigkeit als vielmehr von Wohlstand. Das «Jewelled Sword of State», das der angehende britische König Georg IV 1820 für 6000 Pfund herstellen und mit Gold und Juwelen schmücken liess, gehört zu den britischen Kronjuwelen und gilt als kostbarstes Messer der Welt. So gesehen ist das Taschenmesser, das Schweizer Soldaten bei sich tragen, vom Rekruten bis hoch zum Viersternegeneral, sozusagen des Messers demokratische Form.

Und dann gibt es da noch das Musikmesser aus dem 16. Jahrhundert. Es sieht aus wie ein Fleischmesser mit Horngriff, doch auf der Klinge eingraviert sind Psalmen. Unwahrscheinlich, dass Tafelgäste Noten und Text von blutigen Messerklingen ablasen: Die Tischsitten der Renaissance, genauso wie der Zweck der Psalmenmesser, bleiben ein Rätsel.

Muschelgeld

Die glatten Gehäuse der Kaurischnecke sind selten, schwer zu finden und kaum zu fälschen. Schon vor Jahrtausenden dienten Kaurischnecken in vielen Regionen Afrikas, Asiens und Chinas als harte Währung.

Solches Muschelgeld ist bis heute in Gebrauch auf der Südseeinsel Neubritannien, einem Inselstaat, der zu Papua-Neuguinea gehört. Auf dieser Insel lebt das Volk der Tolai. Die Tolai bewirtschaften als Selbstversorger ihre eigenen Gärten, oft als Gemeinschaften von mehreren Haushalten. Auf dem fruchtbaren vulkanischen Boden gedeihen Taro- und Yamswurzeln, Süsskartoffeln, Bananenstauden und Kokospalmen.

Bezahlt wird mit Muschelgeld, das zu Geldschnüren aufgereiht wird, die «param» genannt werden und so lang sind wie die Spannweite eines Mannes mit ausgebreiteten Armen. Auf einen Faden dieser Länge passen 220 bis 240 sorgfältig zu Ringen geschliffene Schalen einer kleinen, in Papua-Neuguinea vorkommenden Meeresschnecke. Lokale Wechselstuben tauschen Muschel– in Bargeld und umgekehrt, denn Schulgebühren oder Arzt- und Spitalkosten müssen in Kina beglichen werden, der offiziellen Währung Papua-Neuguineas. Der aktuelle Wechselkurs beträgt 5 Kina für einen «param», was rund 1.20 Franken entspricht.

Das Muschelgeld besitzt für die Tolai grosse kulturelle und spirituelle Bedeutung, etwa bei Taufen, Hochzeiten oder Trauerfeiern. Und es ist nach wie vor die gängige Währung für Einkäufe auf dem Markt – für Reis, Gemüse und Süssigkeiten und, weil Handys auch in der Südsee allgegenwärtig sind, sogar für das Aufladen von SIM-Karten.