Shampoo

Georg IV war unbeliebt. Der britische König galt als Lebemann und Frauenheld, und seine Verschwendungssucht trug wenig dazu bei, seinen Ruf zu bessern. Obwohl stets knapp bei Kasse, liess King George 1815 im aufstrebenden Badeort Brighton den «Royal Pavilion» bauen, einen Palast, wie ihn England noch nie gesehen hatte – ein Prachtbau mit Säulenkolonnaden und Zwiebeltürmen im Stil indischer Maharadschapaläste, mit vergoldeten Möbeln, chinesischen Seidentapeten und einem tonnenschweren Kristalllüster in Form eines Drachen. Die oft viele Stunden langen Diners mit bis zu 100 Gängen hinterliessen ihre Spuren: King George trank zuviel, wurde fett, litt an Ödemen, Gicht und konnte sich am Ende nur noch in einem eigens für ihn konstruierten Rollstuhl fortbewegen. Das einzige, was half, waren Bäder und Massagen.

Der beste Masseur in Brighton war ein eingewanderter Bengale namens Sake Dean Mohammed. Mohammed, ein gewiefter Unternehmer, bot Dampfbäder und Massagen an, die er nach einem alten Hindi-Wort Shampoo nannte. Ein Shampoo war eine indische Kopfmassage mit pflanzlichen Pulvern oder Duftölen, und daraus machte Mohammed ein modernes Wellnessangebot für die oberen Zehntausend. Seine Shampoos erfreuten sich bald grosser Beliebtheit, allem voran bei King George höchstselbst, und bald verlieh der seinem Masseur den offiziellen Titel «Shampooing Surgeon of the King», Massage-Leibarzt des Königs. Erste Kosmetikhersteller entdeckten das verheissungsvolle Wort, und heute ist das Haarwaschmittel ganz selbstverständlich ein Shampoo.

Spaghetti

Heisses Wasser, etwas Salz und eine Handvoll Spaghetti: Pasta, so könnte man sagen, sind das erste Fertiggericht der Geschichte.

Einer sehr langen Geschichte. Teigwaren stammen aus dem nördlichen China. Am Ufer des Gelben Flusses fanden Archäologen einen 4000 Jahre alten Topf, in dem sich noch Reste von Spaghetti befanden. Eine gigantische Flut hatte das jungsteinzeitliche Dorf überrollt, mit Mann und Maus und mitsamt dem Spaghettitopf, der kopfüber im Schlamm steckenblieb. In seinem Inneren bildete sich ein Vakuum, in dem die Teigwaren aus Hirsemehl überdauerten – bis zum Augenblick ihrer Entdeckung: Mit dem Ausgraben des Topfs gelangte das Jahrtausende alte Nudelknäuel an die frische Luft. Den Forschern blieb gerade genug Zeit, diese Ur-Spaghetti zu fotografieren; danach zerfielen sie vor ihren Augen zu Staub.

Nach Italien gelangten die Pasta lange vor Christi Geburt. In Gräbern der Etrusker, einem Volk in Norditalien, das später im römischen Reich aufging, finden sich farbenprächtige Fresken, die Nudelbrett, Nudelholz und Mehlsäckchen zeigen. Im 12. Jahrhundert, so berichtet der muslimische Geograph al-Idrisi, wurden auf Sizilien itryya bereits in grossen Mengen hergestellt. Itryya, in süditalienischen Dialekten trie, waren fadenförmige Spaghetti aus Hartweizen, die getrocknet und später in Salzwasser gekocht wurden.

Im vorindustriellen Italien waren Spaghetti eine Delikatesse, die, weil sehr aufwändig, grossen Festen vorbehalten war. Erst die maschinelle Verarbeitung des Nudelteigs machte aus den Teigwaren, was sie heute sind: eine Mahlzeit auf die Schnelle.

Spekulatius

Das Gebäck namens «Spekulatius» ist staubtrocken, flach, rechteckig, schmeckt nach Kardamom, Gewürznelken, Zimt – und, je nach Sorte, ein bisschen nach Karamell. Diese seltenen Gewürze waren es, die den Spekulatius im Zweiten Weltkrieg zum exotischen Luxusgut machten. Ursprünglich war Spekulatius ein traditionelles Adventsgebäck, doch heute ist er jederzeit und überall zu kaufen, als fertiges Gebäck oder auch als Gewürzmischung zum Selberbacken.

Bleibt die Sache mit dem seltsamen Namen. Nomen est omen – die Herkunft von «Spekulatius» bleibt bis heute Spekulation. Eine Theorie besagt, dass das niederdeutsche Spikelatsjie vom lateinischen speculum herkommt, das «Spiegel» oder «Abbild» bedeutet (und von dem auch unser heutiger «Spiegel» abstammt). Der Keks soll so heissen, weil bei seiner Herstellung mit einem Model ein Motiv in den Gewürzteig gepresst wird, so dass der Spekulatius zum Beispiel das Abbild des heiligen Nikolaus trägt. Beliebte Sujets sind auch Pferde oder Elefanten, Bauernhäuser oder Windmühlen. Andere Quellen behaupten, dass das Gebäck seinen Namen Nikolaus selbst verdankt. Der trägt nämlich den lateinischen Beinamen speculator, auf Deutsch «der Umschauende», «der Behüter». Und weil Spekulatius in Belgien und den Niederlanden vor allem am Nikolaustag gegessen wurde, soll das Gebäck den heiligen Beinamen bekommen haben.

Die fromme Herkunft und der Sinn des Gebäcks als vorweihnachtliche Leckerei sind längst in Vergessenheit geraten. Was bleibt, ist der Keks mit dem unverwechselbaren Geschmack und dem altmodischen Namen.

Steckenpferd

Ein Holzstiel, am einen Ende ein hölzerner Pferdekopf mit zwei Griffen, und fertig ist das Spielzeugpferd. Schon in der Antike ritten Kinder auf Steckenpferden umher. Im Mittelalter sollte das Steckenpferd den Buben ritterliche Ideale vermitteln, und als Motiv ziert es sogar Familienwappen. Weil es auch in alten, heidnischen Bräuchen vorkam, gab es sogar Versuche der Kirche, das Steckenpferd zu verbieten.

In Osnabrück spielt das Steckenpferd eine ganz besondere Rolle. Auf der Treppe des Rathauses wurde 1648 der Westfälische Friede verkündet – ein Friede, der dem dreissigjährigen Krieg mit seinen Millionen von Toten ein Ende setzte. Jedes Jahr am 25. Oktober erinnern die Kinder der Stadt an diesen Friedensschluss, indem sie

Wir Reiter zieh’n durch Osnabrück!

singen und mit ihren Steckenpferden über die Rathaustreppe reiten. Heute ist das Dressurreiten und Springen auf Steckenpferden sogar eine regelrechte Trendsportart: In der finnischen Stadt Seinäjoki werden jedes Jahr Meisterschaften ausgetragen, die Hunderte von Reiterinnen und Tausende Besucher anziehen.

Auf Englisch heisst das Steckenpferd hobby-horse, vom Wort hobby, das im 15. Jh. «kleines Pferd» bedeutete und ebenso für das Kinderspielzeug stand. Die Begeisterung der Kinder übertrug sich auch auf das Wort, so dass hobby-horse im übertragenen Sinn auch «Liebhaberei» bedeuten konnte. To ride one’s hobby-horse im Sinne von «einer Lieblingsbeschäftigung nachgehen» wurde mit der Zeit zum modernen «Hobby», und umgekehrt steht auch heute noch das «Steckenpferd» für das, was wir am allerliebsten tun.

Storch

Woher die Kinder kommen? Kinderbücher und Grosseltern haben uns beigebracht: Der Storch pflegt so mal eben übers Haus zu fliegen und – husch! – ein Schwesterchen oder Brüderchen in den Kamin plumpsen zu lassen. Über kleine Ungereimtheiten (im Schlafzimmer gab’s keinen Kamin) pflegten wir Kinder grosszügig hinwegzusehen.

Die Mär vom Storch als Kinderbringer gilt allgemein als uralt. Sie soll damit zusammenhängen, dass Weissstörche während der Brutsaison monogam leben, dass beide – Männchen und Weibchen – sich gleichermassen um ihre Brut kümmern und dass Störche oft an Teichen, in Sümpfen und Mooren zu sehen sind, wo alten Sagen zufolge die Seelen ungeborener Kinder wohnen.

Viel wahrscheinlicher ist aber, dass die Mär vielmehr der bürgerlichen Prüderie des 19. Jahrhunderts entstammt. Die Geschichte vom Storch, der die Mutter ins Bein beisst und sie so ins Krankenbett zwingt, worauf er ihr ein Baby bringt – diese Mär war ein schamhaftes Manöver, um den zu allen Zeiten ganz normalen kindlichen Fragen nach Sexualität und Fortpflanzung elegant auszuweichen.

Doch der Storch als Kinderbringer ist nicht auszurotten. Eine deutsche Studie von 2004 zeigte auf, dass in Niedersachsen die Anzahl der Störche von 1970 bis 1985 ebenso sank wie die der Neugeborenen; danach blieben beide Werte konstant. In Berlin, wo es kaum Störche gibt, verzeichneten die Statistiker zwischen 1990 und 2000 einen Anstieg der Hausgeburten. Die Forscher bezogen darauf das Berliner Umland in ihre Storchenzählung mit ein – und siehe da, dort wuchs die Storchenpopulation proportional zu den Berliner Hausgeburten. Der logische Schluss: Der Storch vom Lande bringt die Babys in die Stadt.