Oktobass

Hector Berlioz war hell begeistert.

Herr Vuillaume, Geigenbauer in Paris, dessen vortreffliche Geigen sehr gesucht sind, hat die Familie der Streichinstrumente mit einer schönen und mächtigen Individualität bereichert: mit dem Okto-Baß. (…) Dieses Instrument hat Töne von merkwürdiger Gewalt und Schönheit, voll und stark, ohne Rauheit. Es würde in einem großen Orchester außerordentliche Wirkungen hervorbringen und sollte bei Musikfesten, falls die Zahl der Instrumentalisten 150 übersteigt, wenigstens in dreifacher Besetzung vorhanden sein.

Dies schreibt der Komponist in seiner Instrumentationslehre. Das Instrument, das der Pariser Geigenbauer Jean-Baptiste Vuillaume 1850 auf Berlioz‘ Wunsch nach einem noch voller klingenden Bass hin gebaut hatte, war tatsächlich enorm: Der Oktobass mit seinen drei Saiten, deren Stimmung eine Oktave unterhalb des Cellos liegt, misst volle dreieinhalb Meter. Das Griffbrett ist so lang und die Saiten sind so dick, dass der Musiker, auf einem eigens dafür gebauten Podest stehend, den Oktobass nur mit einem Mechanismus aus Hebeln oder Pedalen spielen kann. Die wenigen modernen Nachbauten sind sogar noch eine Oktave tiefer gestimmt: Der tiefste Ton schwingt bei für das menschliche Ohr nicht mehr hörbaren 16 Hertz.

Erfinder Vuillaume baute Zeit seines Lebens nur gerade drei Oktobässe, deren einer gar 1867 in London einem Grossbrand zum Opfer fiel. Und obwohl 2016 das Orchestre symphonique de Montréal unter seinem Chef Kent Nagano den Oktobass offiziell eingeführt hat, ist diese Riesin unter den Bassgeigen eine ausgesprochene Seltenheit geblieben.

PacMan

«PacMan» hat Jahrgang 1980 und ist ein gelber Kreis mit einem nach rechts geöffneten, dreieckigen Mund. Und er ist ein gefrässiger Kerl. Er frisst kleine rosa Punkte und vor allem, bei geschicktem Spielen, eines der vier bunten Gespenster, die ihm auf die Pelle rücken.

PacMan

Und vor allem frass er, ratzeputz, das Taschengeld einer ganzen Generation. Bis Ende der 1990-er Jahre spielte PacMan allein in den USA 2,5 Milliarden Dollar ein – in 25-Cent-Münzen, die man gegen jeweils drei PacMan-Leben tauschte. PacMan war ein Videogame. 1980, als die Wissenschaft noch mit dem ersten Personalcomputer schwanger ging und an ein Web noch nicht zu denken war, war das ein schrankgrosser Kasten mit einem gewölbten Bildschirm, einem Joystick zum Steuern des gefrässigen Protagonisten und, eben, einem nicht minder gefrässigen Münzeinwurf.

Dabei sah es im Mai 1980 so aus, als wäre das neue Videogame des japanischen Herstellers Namco ein Flop. Die Spielhallen der aufgehenden Sonne liebten «Space Invaders» oder «Asteroids» und liessen den schmatzenden Punkt beinah verhungern. Auch amerikanische Marketingleute übersahen das an einer Messe vorgestellte Game komplett. Bis einige wenige Spielsalons aufs Geratewohl Namcos Neuling orderten – und vom Andrang eines restlos begeisterten Publikums förmlich überrannt wurden.

PacMan zählt heute zu den wichtigsten Spielen der Computergeschichte und ist nicht mehr einfach ein Game, sondern Mitbegründer einer neuen Kunstgattung. Zu finden ist PacMan heute auf dem Spartphone, im Web – und, zusammen mit 13 weiteren Games, im Museum of Modern Art in New York.

Palast

Das antike Rom wurde auf sieben Hügeln erbaut, einer davon ist der 10 Hektar grosse und 51 Meter hohe Palatin. Seinen Namen hat er, so nehmen Sprachforscher an, vom römischen Hirtengott Pales. Auf dem Palatin hat Romulus angeblich die Stadt gegründet, hier standen Tempel, hier liessen Patrizier und Konsuln ihre Villen bauen und nach ihnen die Kaiser Augustus, Tiberius und Nero. Der Palatin war das exklusivste Villenviertel der Stadt.

Als Synonym für «herrschaftliche Residenz» wanderte der Name «Palatin» in die europäischen Sprachen ein und wurde zu palais, palace, palazzo – und im Deutschen als erstes zur Pfalz. Die über 350 deutschen Pfalzen waren Schlösser und Burgen für die reisenden Könige, Kurfürsten, Herzöge und Bischöfe. Viel später wurde dasselbe Wort «Palatin» ein zweites Mal entlehnt, und dieses Mal wurde daraus «Palast».

Ein Palast ist nicht nur der Inbegriff unermesslichen Reichtums, er ist auch ein Zeichen der Macht. Es war daher kein Zufall, dass die französische Revolution 1793 ihr Tribunal im früheren Pariser Königspalais einrichtete und dieses umbenannte in «Palais de la Justice». 180 Jahre später liess die DDR ihr Parlamentsgebäude in Berlin auf dem Gelände des kaiserlichen Stadtschlosses bauen und nannte es machtbewusst «Palast der Republik». Die Schweiz ist da bescheidener: Hier ist «Palace» höchstens der Name für ein – zugegebenermassen luxuriöses – Hotel.

Panorama

Thun, 1809: Der junge Mann, das Gesicht voller Rasierschaum, setzt gerade das Rasiermesser an. Nebenan flicht eine Frau ihr Haar, derweil ihr die Magd das Schürzenband zu einer Schleife bindet. Es sind zwei von zahllosen Details auf einem gigantischen, über die Massen realistischen Gemälde, das uns einen Augenblick im Alltag des Städtchens vor Augen führt. Gigantisch, in der Tat: Das 360-Grad-Panoramabild, vom Basler Marquard Wocher gemalt, ist 7,5 Meter hoch und sage und schreibe 38 Meter breit. In einem eigenen Rundbau in Thun ausgestellt, bietet es einen atemberaubenden Blick über Schloss, Alpenkette und Umland und lässt den Betrachter in belebte Gassen und gar in die Fenster blicken. Die perfekte Illusion.

Es war kein geringes Wagnis, das Wocher auf sich nahm. Der Aufwand war enorm: Auf einem Dach hatte er sich eine hölzerne Plattform bauen lassen, von der aus er Unmengen von Skizzen anfertigte. Zurück in Basel, malte er fünf Jahre lang, ohne jede Hilfe, das grösste Bild seines Lebens.

Das gemalte Panorama ist ein Kind der industriellen Revolution und ein Massenmedium der ersten Stunde. Das aufstrebende Bürgertum suchte Unterhaltung und Illusion. Reisen war kaum erschwinglich, und Rundum-Panoramen machten es möglich, Unerreichbares zu erleben. Besonders beliebt war Geschichte: Von den fünf erhaltenen Panoramen der Schweiz zeigt eines die Schlacht bei Murten 1476, ein anderes den Grenzübertritt der 87 000 Soldaten der Bourbaki-Armee im Jura 1871.

Das beschauliche Thun-Panorama konnte da nicht mithalten. Eine Weile in Basel ausgestellt, fand es trotz Publikumserfolgen am Ende keinen Käufer. Maler Wocher starb 1830 in bitterer Armut.

Papier

Geduld, endlose Geduld: Sie ist die wohl wichtigste Fähigkeit des Papiers. Seit Jahrtausenden erträgt Papier, was Menschen kritzeln, malen, schreiben. Und was längst nicht immer für die Ewigkeit gedacht und gemacht ist.

Papier allerdings ist es wohl: Es wurde im ersten Jahrhundert nach Christus in China entwickelt. Aber die Schreibunterlage dieses Namens ist viel älter: Sie hat ihren Ursprung im 3. Jahrtausend vor Christus, bei den alten Ägyptern. Papyrus wurde aus der gleichnamigen Pflanze hergestellt, jenem bis zu drei Meter hohen Gras, das den Menschen heilig war, weil sein Stängel im Querschnitt dreieckig ist und an eine Pyramide erinnert, ein Symbol für Ewigkeit. Das Papyrusmark wurde in dünne Streifen geschnitten, kreuzweise übereinandergelegt, gepresst und geklopft. Vom klebrigen Saft zusammengehalten, ergab das Bogen von Ur-Papier. Dieses wurde mit einem Spezialleim satiniert und zu Rollen verleimt.

Papyrus war teuer, zu teuer – für die Hieroglyphenkritzeleien der Schulkinder oder die Mannschaftslisten der Baumeister mussten Tonscherben reichen. Einen ganzen Brunnenschacht mit solchen vollgekritzelten Scherben fanden Forscher in der Nähe des Tals der Könige, wo Heerscharen von Arbeitern vor dreieinhalbtausend Jahren in glühender Wüstenhitze die Pharaonengräber in den Fels schlugen. Die Archäologen fanden heraus: Nur was wirklich wichtig war, wurde am Ende des Tages auf Papyrusrollen übertragen.

Und weil schon damals die Könige für sich in Anspruch nahmen, für alles wirklich Wichtige zuständig zu sein, unterstand die Papierfabrikation einem königlichen Monopol. Genau das sagt auch der Name: Papier. Das Wort kommt vom ägyptischen pa-per-aa, und das heisst ungefähr soviel wie «was dem Pharao gehört».