Runen sind uns unverständlich, wir sagen ihnen magische Wirkungen nach, und dass die Nazis sie missbrauchten, hat sie vollends in Verruf gebracht. Dabei sind sie nichts anderes als ein altes Alphabet germanischer Völker in Südskandinavien. Runen wurden vom 2. bis ins 14. Jahrhundert gebraucht, und erhalten sind geritzte Inschriften auf Steindenkmälern und Gebrauchsgegenständen.
Die Runenschrift ist, wie die unsere, eine Lautschrift, aber jede Rune trägt dazu den Namen einer Sache, für die sie ebenfalls stehen kann. Das älteste bekannte Runenalphabet heisst, nach seinen ersten fünf Buchstaben, «Futhark». Sein erster Buchstabe gleicht unserem heutigen F und hiess fehu, auf Deutsch «Vieh». Die zweite Rune, ein umgekehrtes U, hiess uruz, «Auerochse», und die dritte, die aussieht wie der Dorn einer Rose, hiess auch so: thorn. Als sich ab dem 5. Jahrhundert die Angeln, Sachsen und Jüten in blutigen Schlachten durch England kämpften (wovon unter anderem die Artus-Sagen erzählen), wanderte mit ihnen auch die Dornenrune ein: Im Altenglischen stand der thorn für den Laut, den wir heute mit th schreiben. Sein Ende kam mit der Schlacht bei Hastings im Jahr 1066, als die Normannen unter Herzog Wilhelm II England eroberten und der Inselaristokratie ihre lateinisch-französische Sprache aufzwangen.
Neben allfälliger Magie hatten Runen übrigens noch eine zweite, höchst praktische Eigenschaft: Weil sie ausschliesslich aus geraden Linien bestehen, lassen sie sich gut in Ton, Metall oder Stein ritzen. Graviert wurden Urkunden oder Bannsprüche, aber manchmal auch ganz einfach Graffiti: In eine Marmorbrüstung der Hagia Sofia in Istanbul kritzelte vor eintausend Jahren ein Vikingergardist: «Halfdan war hier».