Dymaxion

Die einen sahen in Richard Buckminster Fuller ein Universalgenie, die anderen einen Spinner. Fuller war Architekt, Konstrukteur, Designer und Philosoph in einem. Seine umfassende Vision hatte einen Namen: «Dymaxion», aus «dynamisch», «maximal» und tension (Spannung). Auf die Idee des Dymaxion hatte ihn der Anblick eines Ozeanriesen gebracht, genauer: dessen riesiges Steuerruder. Am Ende des Ruders befindet sich eine kleine Klappe, die sogenannte Trimmungsklappe. Sie zu bewegen, überlegte er, kostet kaum Kraft – aber sie zieht das mächtige Ruder herum und steuert so das Schiff. Später erzählte er:

Auf diese Weise kann der kleine Einzelne das Trimmruder sein. Die Welt zieht an einem vorbei – aber wenn man auf die richtige Weise seinen Fuss rausstreckt, kann man die Richtung ändern, in die sich alles bewegt.

Und so erfand Fuller ein Dymaxion-Auto, in Tropfenform und auf drei Rädern, für elf Passagiere, aber mit sehr geringem Verbrauch. Oder das Dymaxion-Schlafsystem, das in 24 Stunden bloss viermal ein 30-Minuten-Nickerchen vorsah, laut Fuller «mit exzellenten Ergebnissen». Oder ein energiesparendes, umweltfreundliches Dymaxion-Haus aus Stahl, das aussah wie ein Ufo, das an Stahlseilen von einem Mast hing und so leicht war, dass es auf einem Lastwagen transportiert werden konnte.

Wen kümmerte es, dass das Haus bloss als Modell existierte, das Schlafsystem ein Fehlschlag war und der Wagen bei hohem Tempo lebensgefährlich zu schlingern begann: Fuller starb 1983 als gefeierter Visionär. Auf seinem Grabstein stehen drei Worte:

Nennt mich Trimmruder.

Ediacarium

Tag für Tag lagern sich auf der Erde Stoffe ab – Staub, Sand, Geröll, die Reste von Pflanzen und Tieren. Auf diese Weise schreibt die Natur seit Beginn der Erdgeschichte vor 4,6 Milliarden Jahren ein Tagebuch, Seite für Seite, Schicht für Schicht.

Dieses Tagebuch wird von Geologinnen und Paläontologen gelesen. Bloss: Vor einer Milliarde Jahren reissen die Aufzeichnungen ab. Ein rund 500 Millionen Jahre langes Kapitel fehlt; aus dieser Zeit hat so gut wie nichts überdauert. Forscher nennen diesen mysteriösen Abschnitt «Ediacarium».

Der Name kommt von den Ediacara Hills im Süden Australiens. Hier stiess 1946 der Forscher Reginald Sprigg auf Seiten dieses fehlenden Erdkapitels. Die Schichten enthalten Versteinerungen von Geschöpfen, die aussehen, als kämen sie von einem anderen Planeten: Meerestiere, die aussehen wie Farne oder Schwämme, wie gerippte Omeletten, Seesterne ohne Arme oder kriechende Fische ohne Knochen und Augen. Die Ediacara-Wesen waren sozusagen die Betaversion unserer heutigen Fauna: 60 Millionen Jahre lang bevölkerten sie die Flachmeere der Urzeit, bis sie vor 540 Millionen Jahren auf einmal verschwanden – genau dann, als sich unsere heutigen Tierstämme ausbreiteten.

Warum man aus diesem «Ediacarium» kaum Spuren findet, weiss die Wissenschaft erst seit kurzem: Gestaute vulkanische Hitze hob die Landmassen immer weiter an; bis sämtliche Schichten von Wind und Wetter abgetragen wurden, so dass am Ende nichts mehr übrigblieb.

Geysir

Das Wort «Geysir» ist altisländisch und heisst soviel wie «ausbrechen». Denn hier, in Island, wurde der Geysir 1294 in einer Chronik zum ersten Mal beschrieben. Minutenlang brodelt er vor sich hin. Der «Strokkur», wie ihn die Isländer nennen, ist ein kochender Tümpel in einem Lavafeld. Dann, urplötzlich, schiesst das siedende Wasser bis zu 35 Meter hoch in die Luft. Der Strahl fällt in sich zusammen, das Wasser versickert, und alles beginnt von vorn.

Der «Strokkur» ist ein beeindruckendes Naturphänomen. Das Tal, in dem er liegt, ist ein sogenanntes Hochtemperaturgebiet und Teil eines aktiven Vulkansystems. Wie der Geysir genau funktioniert, war lange Zeit unbekannt. Eine schlüssige Erklärung fand erst 1846 der deutsche Chemiker Robert Wilhelm Bunsen – der Bunsen, nach dem auch der Bunsenbrenner im Chemielabor benannt ist. In einem Hohlraum tief im Boden heizt das Magma Sickerwasser auf, weit über 100 Grad. Weil der Druck der Wassersäule so hoch ist, beginnt das Wasser noch nicht zu kochen. Bei über 120 Grad aber pressen erste Dampfblasen einen Teil des Wassers weg. Der Druck fällt ab, das überhitzte Wasser verwandelt sich auf einen Schlag in Dampf, und der gesamte Inhalt schiesst nach oben.

Das Phänomen gibt es nicht nur in Island. Der Yellowstone-Nationalpark in Wyoming zählt 300 Geysire; Geysirfelder gibt es auf der russischen Halbinsel Kamtschatka, in Neuseeland, Chile und Alaska. In Island gibt es bloss zwei Geysire. Und doch ist sind das Wahrzeichen der Insel – und ein Sinnbild für die Urgewalten der Natur.

Goldhamster

Der edelste aller Hamster ist der Goldhamster. Er ist deutlich kleiner als sein europäischer Vetter, der Feldhamster, und seinen Namen hat er von seinem Fell, das (bis auf seinen weissen Bauch) ein leuchtendes Rotbraun zeigt. Wie das Edelmetall ist auch der Goldhamster selten. Er kommt nur im syrisch-türkischen Grenzgebiet vor, hauptsächlich in der Hochebene von Aleppo. Die Ebene ist fruchtbar und dicht besiedelt, und die Tiere ernähren sich vom angebauten Getreide und den Feldfrüchten. Weil Goldhamster als Schädlinge gelten, werden sie gejagt und vergiftet, und die Art ist heute gefährdet.

1930 brach der Biologe Israel Aharoni zu einer Expedition nach Syrien auf, um nach Hamstern zu suchen, die sich problemlos vermehren liessen und die für medizinische Versuche geeignet waren. Zusammen mit seinem örtlichen Führer gelang es Aharoni, ein Nest mit einem Goldhamsterweibchen und insgesamt elf Jungen ausfindig zu machen und aus einer Tiefe von zweieinhalb Metern auszugraben. Die Mutter biss sofort eines ihrer Jungen tot (um ihm ein Leben als Versuchstier zu ersparen, schrieb Aharoni in sein Notizbuch). Die Mutter wurde eingeschläfert, bevor sie den Rest ihres Wurfs töten konnte.

Die in der Zoologie noch kaum bekannten Tiere wurden transportfertig gemacht, und obwohl am Ende nur ein Weibchen und drei Männchen in Jerusalem ankamen (die übrigen waren entwischt), begannen sie sich in den Labors der Hebräischen Universität prächtig zu vermehren. Bis heute stammen nahezu alle Goldhamster, die als Haustiere gehalten oder als Versuchstiere gebraucht werden, von diesen vier Hamsterjungen aus der syrischen Wüste ab.

Herbst

Der Frühling ist zwar schön, doch wenn der Herbst nicht wär, wär zwar das Auge satt, der Magen aber leer.

So dichtete, im 17. Jahrhundert und mit bestechender Logik, der schlesische Barockdichter Friedrich von Logau.

Der Herbst: Astronomisch begann er 2009 exakt am 22. September um 23.19 Uhr Sommerzeit, als die Sonne den Himmelsäquator in Richtung Süden überquerte. Diesen Zeitpunkt nennt man die Herbst-Tagundnachtgleiche. Wohlgemerkt: Das galt so nur für dieses eine Jahr – und für die nördliche Erdhalbkugel. Auf der südlichen beginnt der Herbst am 20. März – oder, je nach Jahr, in der Nacht darauf.

Die Meteorologen rechnen übrigens anders: Für sie hatte der Herbst längst begonnen, nämlich am 1. September und, 2009 nicht ganz passend, mit einem Hitzetag mit deutlich über 30 Grad Celsius.

Der Wort Herbst ist wohl so alt wie die Sprache selbst: Der deutsche Dichter Adolf Reinecke, der germanisches Volkstum idealisierte, erfand 1893 für den September gar den Kunstnamen «Herbsting». Unser heutiger Herbst ist verwandt mit dem englischen harvest, Ernte, und mit dem lateinischen carpere, pflücken. Das wiederum hängt sprachlich eng zusammen mit dem lateinischen scalpere, was schnitzen oder schneiden bedeutet. Tatsächlich wird im Herbst – ursprünglich mit der Hand und mit der Sichel – das Getreide geschnitten.

Vom astronomischen Herbstbeginn an werden die Tage rapide kürzer – jeden Tag um 3 Minuten und 24 Sekunden, um genau zu sein, und das genau bis zum astronomischen Herbstende, dem Tag der Wintersonnenwende, am 21. Dezember.