Bücherrad

Dies ist eine schöne künstliche Maschine, die sehr nützlich ist, weil man mit ihr in einer grossen Menge Bücher blättern kann, ohne sich von der Stelle zu bewegen.

So beschreibt der italienische Ingenieur Agostino Ramelli 1588 das von ihm erfundene Bücherrad. Diese Lesemaschine sieht ein bisschen aus wie ein Wasserrad für Bücher. Es besteht aus einem Holzgestell und zwei mannshohen Radscheiben. Dazwischen befinden sich acht Lesepulte, die von Zahnrädern so bewegt werden, dass die aufgeschlagenen Bücher ihre Neigung stets behalten und nicht zu Boden fallen. Auf diese Weise kann ein Leser durch einfaches Drehen zwischen verschiedenen Bänden und Textstellen hin und her springen – das Bücherrad gilt deshalb auch als eine Art Kindle des 16. Jahrhunderts.

Das Bücherrad wird im 700-Seiten-Wälzer mit dem Titel «Die verschiedenen und kunstvollen Maschinen des Capitano Agostino Ramelli» als einer von insgesamt 195 Apparaten beschrieben und abgebildet. Im Grunde war das Bücherrad unnötig kompliziert: Solche epizyklischen Getriebe waren bis dahin nur in astronomischen Uhren verbaut worden. Vermutlich auch deshalb hat Ramelli selbst nie ein solches Bücherrad gebaut, es ging ihm vor allem darum, sein mathematisches Genie unter Beweis zu stellen.

Ob es Bücherräder tatsächlich gegeben hat, ist nicht bekannt, doch aufwändige Nachbauten sind in einer ganzen Reihe europäischer Museen zu sehen.

Diderot-Effekt

Denis Diderot, der Pariser Aufklärer und Philosoph, war gelegentlich bei Marie Thérèse Geoffrin zu Gast, die für ihre literarischen Salons bekannt war, aber eben auch für ihre zudringlichen Gefälligkeiten. Diderot hatte Madame Geoffrin einen Gefallen getan, und sie schenkte ihm dafür einen neuen scharlachroten Hausrock. Das war fatal:

Mein alter Rock passte mir so gut, dass ich mich ausnahm wie von Künstlerhand gemalt,

schrieb Diderot 1768 in einem Essay:

Der neue, steif und förmlich, macht mich zur Schneiderpuppe. Ich sehe aus wie ein reicher Tagedieb.

Das Geschenk setzte einen Teufelskreis in Gang. Die schäbigen Möbel hatten wunderbar zum verschlissenen Rock gepasst. Doch nun verspürte Diderot das zwanghafte Bedürfnis, alte Möbel, die nicht mehr passten, durch bessere zu ersetzen – den Rohrstuhl durch einen Maroquinsessel, das schäbige Pult durch einen eleganten Sekretär, das schlichte Bücherbrett durch einen kostbaren Intarsienschrank.

Der kanadische Anthropologe Grant McCracken nannte dieses psychologische Phänomen 1990 den «Diderot-Effekt»: Der Kauf eines neuen Gegenstandes stört das zuvor harmonische Gesamtbild und zwingt zur Korrektur. Ein passendes Folgeprodukt wird angeschafft, das wieder zu stören beginnt und eine weitere Korrektur verlangt – eine Kettenreaktion des Konsums, die sich Marketing und Werbung mit immer noch begehrenswerteren Produkten zunutze machen und der man sich nur schwer entziehen kann. Es sei denn, man kommt wie Diderot zum Schluss:

Bewahrt eure alten Freunde. Mein Beispiel soll euch lehren: Die Armut hat ihre Freiheiten, der Reichtum seine Zwänge.

Diderot, Denis

Denis Diderot war Literat. Philosoph. Universalgelehrter. Doch sein einflussreichstes Medium waren nicht Roman oder Kampfschrift, sondern vielmehr ein Lexikon. So etwas wie die «Encyclopédie» hatte die Welt des Ancien Régime nie gesehen: 17 Bände, 72 000 Artikel über die Wissenschaft, die Künste, die Berufe, über das gesamte Wissen der Zeit. Diderot trug allein 6000 Artikel bei; die restlichen stammen von 142 Wissenschaftlern aus ganz Europa, aber auch von einfachen Berufsleuten wie Buchdruckern oder Uhrmachern.

Die ersten Bände erschienen 1751, und die Leser waren begeistert. Juristen, Ärzte, Beamte, Ingenieure – alle kauften und verschlangen sie die druckfrischen Seiten. Denn die «Encyclopédie» warf ein völlig neues Licht auf die Welt: Wissenschaft statt Glaube, Vernunft statt Hörensagen, Erkenntnis statt Obrigkeitsgläubigkeit: Das war ein Frontalangriff auf das Primat der Kirche und das Gottesgnadentum der Könige. Rasch zog sich Diderot den Zorn der Mächtigen zu. Schon vor Erscheinen der ersten Bände sass er monatelang in Haft. Er wurde vorsichtig und begann, seine radikalen Ansichten in frechen Anmerkungen zu verstecken: Unter «Menschenfresserei» etwa steht der sarkastische Hinweis: «Siehe auch unter Eucharistie, Kommunion, Altar etc.».

Die Enzyklopädie war das Fundament, das den mächtigen Bau der Aufklärung erst möglich machte. Ihr Anspruch war enorm: Sie sollte, so schrieb Diderot unter dem Stichwort «Encyclopédie»,

(…) die auf der Erde verstreuten Kenntnisse sammeln und sie den nach uns kommenden Menschen überliefern, damit unsere Enkel nicht nur gebildeter, sondern auch tugendhafter und glücklicher werden, und damit wir nicht sterben, ohne uns um die Menschheit verdient gemacht zu haben.

Dilemma

«Dilemma» ist griechisch und bedeutet wörtlich «eine zweiteilige Annahme». Es ist ein ausgesprochen junges Fremdwort, das etwa die Gebrüder Grimm noch gar nicht kannten, als sie 1838 ihr «Deutsches Wörterbuch» in Angriff nahmen. Als Gedankenexperiment aber beschäftigt das Dilemma seit jeher die Ethik und das Recht. Die britische Philosophin Philippa Foot formulierte 1967 das sogenannte «Trolley-Problem»: Eine Strassenbahn – auf Englisch trolley – gerät ausser Kontrolle und droht, fünf Passanten zu überrollen. Das Umstellen einer Weiche würde das Tram zwar auf ein anderes Gleis umleiten, doch da steht ebenfalls ein Mensch. Darf man nun den Tod dieses einen in Kauf nehmen, um fünf andere zu retten? Dieses Gedankenspiel beschäftigt beileibe nicht nur Philosophen: Darf ein von Terroristen gekapertes, voll besetztes Passagierflugzeug abgeschossen werden, wenn es Kurs auf einen Wolkenkratzer oder ein Atomkraftwerk nimmt?

Aber kein Dilemma, das sich nicht noch steigern liesse. Habe ich die Wahl zwischen drei Sackgassen, dann stehe ich vor einem «Trilemma», bei einem ganzen Knäuel von Irrwegen gar vor einem «Polylemma». Und als ob das nicht reichte, gibt es auch noch das «positive Dilemma». Es zwingt mich, zwischen zwei gleich guten Optionen zu wählen. Das kann tüchtig schiefgehen, wie schon im Jahr 1095 der persische Religionsgelehrte al-Ghazali schrieb: Ein durstiger Mann hat zwei Wassergläser vor sich stehen. Beide sind genau gleich gross, gleich voll und gleich weit weg. Ein klassisches Dilemma: Der Mann kann und kann sich nicht entscheiden – und verdurstet.

Dunning-Kruger-Effekt

Das Problem mit dummen Menschen ist, dass sie keine Ahnung haben, wie dumm sie wirklich sind.

Der bitterböse Sketch des britischen Komikers John Cleese ist tatsächlich ein Ergebnis wissenschaftlicher Forschung. David Dunning, Professor für Sozialpsychologie und ein Freund von Cleese, schrieb 1999 zusammen mit seinem Kollegen Justin Kruger an der Cornell University ein anfänglich kaum beachtetes Papier. Es zeigte, dass Schwierigkeiten, die eigene Inkompetenz zu erkennen, zu einer überhöhten Selbsteinschätzung führen. Dunning und Kruger wiesen nach, dass Menschen mit spezifischen Schwächen – etwa beim Lesen, Autofahren oder Schach – dazu neigen, ihr eigenes Können zu überschätzen, während sie gleichzeitig das der anderen unterschätzen. Diesen «Dunning-Kruger-Effekt», wie das Phänomen heute heisst, beschreibt Dunning so:

Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist. Die Fähigkeiten, die wir brauchen, um die Lösung eines Problems zu finden, sind genau die selben Fähigkeiten, die nötig wären, um die gefundene Lösung als richtig zu erkennen. Wir sind nicht so gut darin, zu wissen, was wir nicht wissen.

Auf die Spur gebracht hatte die Forscher ein Banküberfall: Der Bankräuber McArthur Wheeler in Pittsburgh hatte keine Maske getragen und war von Überwachungskameras gefilmt worden. Die Bilder kamen in den Nachrichten, und keine Stunde später wurde Wheeler verhaftet. Mit den Videos konfrontiert, murmelte der verblüffte Räuber: «Aber ich war doch voller Saft!» Er hatte felsenfest geglaubt, dass sein mit Zitronensaft eingeriebenes Gesicht für Kameras unsichtbar sei. Was nicht ganz den Tatsachen entsprach.