Visitenkarte

Sie lernen den neuen Generaldirektor kennen, und als höflicher Mensch – der arme Mann kann sich ja unmöglich all die Namen merken – drücken Sie ihm Ihr Kärtchen in die Hand. Tja, und damit sind Sie voll ins Fettnäpfchen getreten.

Die Visitenkarte ist so etwas wie die Duftmarke des Geschäftsmanns. Doch dem war nicht immer so. Visitenkarten heissen, wozu sie einst gedient haben, als aufwändig gedruckte, auf einem freien Feld handschriftlich ergänzte Karte, die man dem Hausdiener oder der Empfangsdame übergab, damit sie den Herrschaften den Besuch gebührend ankündige. Die Karten wurden nicht einfach überreicht, nein: Sie wurden leicht geknickt, nach einer ganz bestimmten Regel, je nachdem, ob es sich um einen Antritts- oder einen Beileidsbesuch handelte. Das Knicken hatte zudem den Vorteil, dass sich die Karte auch mit Seidenhandschuhen bequem vom Silbertablett aufnehmen liess. Bei Hofe ging die Karte am Ende an den Zeremonienmeister, der Namen und Rang der Gäste bei ihrem Eintreten mit fester Stimme verlas.

Visitenkarten, im 18. und 19. Jahrhundert oft Kunstwerke bekannter Kupferstecher, sind heute zwar nicht normiert, doch hat sich in Europa die Grösse einer Kreditkarte eingebürgert. In Amerika und Skandinavien sind sie etwas schmaler, im fernen Osten etwas höher. Auch das Zeremoniell gibt es immer noch. Es ist ein Tauschgeschäft – wer eine Karte übergibt, darf im Gegenzug die seines Gegenübers erwarten. Dem Ranghöheren seine Visitenkarte aufzudrängen, hiesse, ihn zur Herausgabe seiner Kontaktdaten zu nötigen. Daher gilt: Als erstes ist immer der Chef am Zug.

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