Blockbuster

Alles begann 1917, mit einem spektakulären Urteil des höchsten Gerichts der Vereinigten Staaten. Dem Supreme Court in Washington D.C. lag ein Gesetz von Louisville, Kentucky, vor, das den Verkauf von Liegenschaften in von Weissen bewohnten Stadtvierteln an Käufer anderer Hautfarbe verbot. Dieses Gesetz, so befanden die Richter, verletze die Vertragsfreiheit und sei daher ungültig.

Was wie ein Sieg im Kampf gegen die Rassentrennung aussah, erwies sich als Goldgrube für halbseidene Immobilienmakler. Ihr Trick nannte sich blockbusting: Weil sich nun jedermann, egal welcher Hautfarbe, überall, egal an welcher Strasse, einkaufen konnte, boten die Händler ein Haus, das in einem bisher nur von Weissen bewohnten Viertel lag, einer schwarzen Familie an, die den übervölkerten Ghettos entfliehen wollte. Darauf streuten sie das Gerücht, weitere farbige Familien seien dabei, in die Nachbarschaft zu ziehen. Wo sich Rassenvorurteile hartnäckig hielten, begannen immer mehr weisse Hausbesitzer, zu verkaufen. In gewissen Vierteln machte sich gar eine regelrechte Panik breit, und je mehr Verkäufer, desto tiefer die Verkaufspreise. Am Ende rieben sich die Makler die Hände und verkauften die leerstehenden Häuser tatsächlich an Farbige, allerdings mit einem unverschämten Aufschlag.

In seiner wörtlichen Bedeutung, «einen Häuserblock weg- oder leerfegen», bedeutete blockbuster in den 1940er-Jahren eine verheerende Fliegerbombe und, im Oxford English Dictionary, einen erfolgreichen Musikfilm. Die Herkunft aus Halsabschneiderei und Rassismus dagegen ging allmählich vergessen.

Blut, blaues

«Blaues Blut in den Adern haben» bedeutet, dem Adel anzugehören. Im mittelalterlichen Kastilien war das gar nicht so falsch. Nachdem die Mauren im frühen 8. Jahrhundert die dort ansässigen Westgoten verdrängt hatten, wurde Spanien jahrhundertelang von Herrschern mit dunkler Haut regiert. Die alte Oberschicht aber mit ihren gotischen Vorfahren wies oft eine helle Haut auf, durch die sich Adern und Venen gut sichtbar – und eben bläulich – abzeichneten. Sangre azul, «blaues Blut», sollen die Mauren dieses äussere Zeichen vornehmer Herkunft genannt haben.

Dass sich Blutgefässe auf der Haut blau abzeichnen, hat damit zu tun, dass rotes Licht langwelliger ist, tiefer ins Gewebe eindringt und stärker absorbiert wird als blaues Licht. Blau hat eine kürzere Wellenlänge, wird stärker reflektiert und lässt so Blutgefässe bläulich erscheinen. Ganz besonders beim Adel, dessen Schönheitsideal eine vornehme Blässe war, ganz im Gegensatz zu dem auf dem Feld gebräunten Bauern.

Das Schönheitsideal hat sich gewandelt. Die Redensart vom Blauen Blut ist geblieben. Doch ob der Ausdruck tatsächlich auf das maurische Spanien zurückgeht, ist ungeklärt; Quellen dafür gibt es keine. Fest steht indessen, dass es blaues Blut tatsächlich gibt – bloss nicht bei Menschen, sondern bei Krebsen, Kraken, Skorpionen, Schnecken und Spinnen. Bei ihnen wird der Sauerstoff nicht von Hämoglobin gebunden wie bei Wirbeltieren, sondern von zwei Kupfer-Ionen in einem Proteinkomplex mit dem Namen Hämocyanin. Und Hämocyanin wird mit gebundenem Sauerstoff tatsächlich tiefblau.

Bonus

Lass einen Menschen für dich arbeiten, gib ihm ein ordentliches Gehalt, und für Extraleistungen biete ihm einen Extrabatzen. Du wirst sehen: Er arbeitet härter und besser. Dieser Batzen heisst «Bonus», lateinisch für «gut», und das Prinzip ist so etwas wie ein Axiom der Betriebswirtschaft. Im Jahr 2002 wollte es der amerikanische Verhaltensökonom Dan Ariely genau wissen und beschloss, die Wirkung von Prämien auf die erzielte Leistung präzise zu messen. Weil ein solches Experiment bei Boni in der Höhe von Tausenden, wenn nicht Millionen von Dollars aber unbezahlbar geworden wäre, verlegte er es kurzerhand in den tiefsten Süden Indiens.

Ariely und seine Studenten boten den Bewohnern kleiner Bauerndörfer bis zu 2400 Rupien für den Fall, dass sie sechs Gedächtnis- und Geschicklichkeitsaufgaben ganz besonders gut lösten, je besser das Ergebnis, desto höher der Bonus. 2400 Rupien! In einer Region, in der die Menschen ihren Lebensunterhalt mit monatlich 500 Rupien bestritten, war das ein wahres Vermögen. Doch nicht allen wurde derselbe Betrag in Aussicht gestellt. Die unterste «Gehaltsstufe» sah maximal 24 Rupien vor, die mittlere 240 Rupien. Die 2400 Rupien versprachen die Forscher nur den Versuchsteilnehmern der höchsten Klasse.

Das Ergebnis war ein Paukenschlag. Nicht die Dagobert Ducks mit dem höchsten Gewinn vor Augen erbrachten die höchsten Leistungen, sondern vielmehr die Donalds der untersten und mittleren Stufe. Der Riesenbonus der Dagoberts erwies sich als kontraproduktiv: Die Bauern hatten statt auf die Aufgabe ganz einfach viel zu sehr aufs Geld geachtet.

Brief

Papier ist geduldig, sagt man. Und das muss es auch sein: Mehr als 2,7 Milliarden Briefe hat allein die schweizerische Post letztes Jahr zugestellt. Für jede und jeden von uns heisst das ziemlich genau einen Brief pro Tag. Die meisten davon sind kurz und bündig – daher auch der Name: Brief kommt vom lateinischen brevis, kurz.

Briefe zu schreiben ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Schon 3200 vor Christus kratzten Sumerer ihre Briefe auf Tontafeln, seit 500 vor Christus Römer die ihren in Wachs. Wesentlich geeigneter war seit dem Altertum das Pergament, das viel leichter zu transportieren war, und seinen Durchbruch erzielte der Brief mit dem ums Jahr 100 nach Christus von Chinesen entwickelten Papier. Seit dem späten Mittelalter wird in Europa fast nur noch auf Papierbogen geschrieben – Bogen, deren Länge und Breite seit 1922 vom Deutschen Institut für Normung festgelegt sind. Daher auch der Name – DIN A4.

Und was findet sich seit 1922 alles im Format DIN A4! Allein die Anreden sprechen Bände – Geliebter Bruder! Geschätzter Herr! Werte Dame! Teure Schwester! Und heute leider fast nur noch Sehr geehrter Herr oder Sehr geehrte Frau. Milliardenfache Einfallslosigkeit, möchte man sagen.

Immerhin: Briefe haben eine Physis – man kann sie in Händen halten. Man kann Schleifen um sie binden, sie zu Akten bündeln – oder auch, je nach Temperament und Gemütslage, zerknüllen und zerreissen.

Allerdings: Sie bekommen starke Konkurrenz, die Briefe: die E-Mails. Jeder und jede von uns bekommt, neben dem einen Brief, heute schon drei Mails pro Tag. Und besieht man sich den Inhalt dieser E-Mails, dann wird in Zukunft nicht mehr das Papier um Geduld ringen, sondern vielmehr wir, die wir nichts lieber täten, als lästige E-Mails zu zerknüllen.

Casino

Fjodor Dostojewskis Roman «Der Spieler», fieberhaft in nur 26 Tagen seiner Stenografin und späteren Ehefrau Anna diktiert, war eine Studie seiner eigenen Sucht: Geld rann Dostojewski wie Wasser durch die Finger, Spielcasinos zogen ihn magnetisch an.

Doch nicht immer war das Casino ein Ort des Lasters. «Casino» war ursprünglich bloss ein Diminutiv von casa und bedeutete auf Italienisch einfach «Häuschen», etwa ein schmuckes Gartenhaus, wie es italienische Barockfürsten bauen liessen. In Venedig war ein «casino» ein privater Raum, den Adlige in der Nähe des Dogenpalastes unterhielten, um dort vor Ratsversammlungen ihre Amtstracht anzulegen; der legendäre Venezianer Giacomo Casanova wohnte zeitweise gar in einem dieser Casinos.

Im frühen 19. Jh. begannen die vielen neu gegründeten politischen, kaufmännischen, literarischen, musikalischen und Bildungsvereine sogenannte «Casinos» zu bauen, die bald wichtige Orte städtischer Geselligkeit waren. Das Offizierscasino war ein Speise- und Gesellschaftsraum, und an der Stelle des heutigen Bundeshauses in Bern stand bis 1895 ein Casino mit Restaurant und einem grossen Saal für Tanz und Theater. Auch das heutige, 1909 eröffnete Casino Bern ist ein Konzerthaus.

Zum Mekka der Spieler wurde das Casino wiederum in Venedig: 1638 wurde im Palazzo Dandolo das erste öffentliche Spielcasino eröffnet, und als im 18. Jahrhundert das Glücksspiel ganz Europa eroberte, wurden die Vereinshäuser namens «Casino» nach und nach zu jenen Spielhöllen, in denen Dostojewski seinen traurigen Helden Aleksej buchstäblich seinen allerletzten Gulden setzen lässt.